Diese Kurzgeschichten wirken
„I’m out!“ von Malte Janesch und Svenja von Werner, „Mama“ von Meret Scheppach und „Trauerspiel“ von Reik Rogge sind die Gewinner des Kurzgeschichten-Wettbewerbs der Klasse 10a.
Den Rahmen dieses Projektes setzten eine Seite, drei Unterrichtstunden im Computerraum und zuvor erworbene Kenntnisse über diese literarische Gattung.
I’m out!
Es ist acht Uhr morgens. Ich sitze mit vielen affenähnlichen Menschen in einem Raum. ICH WILL HIER RAUS! Mein Klassenlehrer betritt den Raum. Ich heule. Nach etwa 20 Minuten gehe ich nach vorne und täusche schwere Bauchschmerzen vor. Leider kennt mein Lehrer mich zu gut und er glaubt mir nicht (in den letzten Wochen kam das wohl zu häufig vor). Also setze ich mich wieder auf meinen Platz. Der Stuhl ist vollgeschmiert mit beleidigenden Wörtern und es kleben ein paar Kaugummis darunter. Mein Sitznachbar nervt mich zu Tode. Den ganzen Tag denke ich darüber nach, welche Möglichkeiten ich hätte, wenn ich zu Hause wäre. Vielleicht würde ich einen krassen Plan entwickeln und ein Riesengeschäft machen, doch in der Schule kann ich meine Geschäftsideen nicht ausleben. Ich warte sehnsüchtig auf die Pause. Im Deutschunterricht müssen wir eine Kurzgeschichte schreiben. Die Kreativität wird quasi aus uns herausgeprügelt. Wie immer fällt mir nichts ein und ich habe keine Lust mehr. Hatte ich eigentlich von Anfang an nicht. Doch unser Lehrer erwartet von uns, dass wir in zwei lächerlichen Stunden diese unnötige Geschichte schreiben. Meine Idee, einfach als Jury mitzumachen, wird abgelehnt. Ich versuche mich durch das Lesen anderer Kurzgeschichten „inspirieren zu lassen’’. Manche Schüler sind echt unkreativ! Ich fange an zu schreiben: Es ist acht Uhr morgens. Ich sitze mit vielen affenähnlichen Menschen in einem Raum. Ich will hier raus…
Als ich endlich aus der Schule entlassen werde, gehe ich zum Bus. Ich komme genau an, als der Busfahrer die Türen schließt. Er lacht mich aus und fährt weg. Was für ein Arschloch! Also laufe ich zur Bahn. Nach 15 Minuten-Warten auf dem Bahnsteig kommt die Ansage, dass der Zug leider ausfällt. Ich höre ein paar Leute sich über den Penner aufregen, der sich vor den Zug geworfen hat. Wieder denke ich an den Busfahrer und werde sauer. Jemand tippt mir auf die Schulter. Für einen kurzen Moment hoffte ich, es wäre der Busfahrer, denn ich hätte ihm gern eine reingehauen, jedoch sind es ein paar Jugendliche, die mich nach Feuer für ihre Zigaretten fragen. Ich hole mein Feuerzeug heraus, lasse die Flamme aufschnappen, zünde meine Zigarette an und drehe mich wortlos um. Hinter mir höre ich beleidigendes Gemurmel.
Zu Hause angekommen gehe ich schnurstracks in mein Bett und lege mich, den Blick an die Decke geheftet, hin. Ich denke stundenlang über die Dinge nach, die ich machen müsste. Im gleichen Moment denke ich an die Leute, die es geschafft haben, so reich zu werden, dass sie im Prinzip nie wieder etwas mit Menschen zu tun haben müssten. Die Glücklichen! Vielleicht bin ich morgen einfach krank. Dieser Gedanke heitert mich ein wenig auf. Irgendwann kommt mein Vater in mein Zimmer und fragt, ob ich etwas mit ihm unternehmen möchte. Mein einziger Gedanke gilt dem Lottospielen, denn das ist die einzige Möglichkeit, so schnell wie möglich an sehr viel Geld zukommen. Leider hat es mir bis jetzt nur etwa 10€ eingebracht und ich habe bestimmt 100€ verspielt. Aber ich bin zuversichtlich, denn umso öfter ich spiele, desto mehr hänge ich an dem Gedanken des Reichwerdens. Mein Vater und ich gehen los, zum Lottostand. Ich gebe ihm das Geld und sage meine Zahlen an. Diesmal werde ich bestimmt gewinnen.
Plötzlich ruckelt jemand an meiner Schulter. Mein Klassenlehrer möchte meine Kurzgeschichte einsammeln. Ich stehe auf und verlasse wortlos den Raum…
von Malte Janesch und Svenja von Werner
Mama
Das orangefarbene Licht der Straßenlaterne blendet mich. Wo bin ich? Langsam kommen die Erinnerungen zurück und mit ihr der betäubende Schmerz in meinen Gliedern. „Pass auf dich auf!“, sagtest du. „Du sollst nicht trinken!“ Also trank ich stattdessen eine Cola. Ich fühlte mich gut, genauso wie du gesagt hast, weil ich nicht getrunken habe, um später sicher nach Hause zu fahren – obwohl sie alle sagten, ich solle mir doch einen Drink genehmigen. Ich hatte mit diesem Jungen getanzt und ich freute mich schon, ihn nächstes Wochenende wiederzusehen. Ich traf die richtige Entscheidung. Danke für deinen Ratschlag, Mama.
Die Party war endlich vorbei und alle fuhren heim. Ich stieg in mein Auto und war sicher, dass ich bald daheim sein würde. Ich wusste ja nicht, was kommen würde, Mama. Mit so etwas rechnet niemand. Der Tod kommt schnell und unerwartet wie ein Regen im Hochsommer.
Jetzt liege ich auf der Straße und ich höre den Polizisten sagen, dass der Junge, der den Unfall verursacht hat, betrunken war. Seine Stimme ist so fern. Ich spüre das warme, frische Blut, das überall an meiner Kleidung klebt. Ich kämpfe mit den Tränen. Ich will nicht weinen. Ich versuche mich auf die Seite zu drehen, doch es gelingt mir nicht. Ich habe keine Kraft in meinen Muskeln. Ich höre die Stimme des Rettungssanitäters, als er sich zu dem Polizisten wendet: „Wir müssen schnell ins Krankenhaus, sonst wird sie das nicht überleben. Haben Sie schon jemanden benachrichtigt? Haben Sie die Mutter informiert?“ Dann beginnt sich alles zu drehen und der Boden beginnt zu schaukeln. Sie tragen mich in einen Krankenwagen. Die lauten Sirenen sind nur ein dumpfer Unterton in dem Chaos und dem steten schrillen Ton in meinem Kopf.
Ich bin mir sicher, der Typ hatte keine Ahnung, dass heute Nacht jemand sterben würde, weil er sich dazu entschied, betrunken in sein Auto zu steigen. Ich bin mir sicher, dass er das nicht wollte. Warum tun Menschen so etwas, Mama? Ich bin noch nicht bereit für das, was jetzt kommt.
Der Schmerz wird schlimmer und es fühlt sich wie tausend stechende Messer an. Meine Schläfen pochen und meine Brust brennt. Die weiße Decke des Wagens spendet wenig Trost und auch die Ärztin, die unablässig versucht mit mir zu reden, ist nur ein verschwommenes Bild. Draußen wird es langsam hell und unter lautem Geheul rast der Wagen durch die Straßen. Die ersten Sonnenstrahlen scheinen durch das kleine Fenster und ich hoffe, dass ab heute jeden Tag die Sonne für dich scheint, Mama. Dass sie dich ein wenig tröstet und sie dich an mich erinnert. Mein Mund ist trocken, doch als ich versuche etwas zu sagen, schmecke ich salziges Blut.
Jemand hätte ihm sagen müssen, dass es falsch ist, betrunken zu fahren. Wenn es seine Eltern getan hätten, wäre ich jetzt zu Hause bei dir. Mein Atem wird schwächer, Mama. Ich habe Angst. Ich bin unvorbereitet. Alles passierte so plötzlich. Ich erinnere mich nur noch an die grellen Scheinwerfer. Ein Hupen. Ein Quietschen. Sein panisches Gesicht, als er zu mir torkelte und sein Handy zückte. Ich wäre jetzt so gern in deinem Arm, Mama, und nicht allein in diesem kalten Raum voller Fremder und Geräte. Ich habe doch alles richtig gemacht. Warum passiert das mir? Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass ich dich liebe, dass ich dir Auf Wiedersehen sagen könnte. Sie sagen, dass ich wach bleiben soll. Ich soll durchhalten. Doch ich kann nicht. Der Schmerz erdrückt mich und der Schwindel wird schlimmer. Ich höre die hektischen Schreie, ich höre das unregelmäßige Fiepen des EKG-Geräts. Dann wird alles schwarz und ich spüre keine Leiden mehr.
von Meret Scheppach
Trauerspiel
Ein weiterer Tag ist vorüber. Wie viele es insgesamt schon waren? Ich weiß es nicht, habe aufgehört zu zählen bei ungefähr sechshundertsiebenunddreißig. Tod und Verderben auf beiden Seiten. Selbst jetzt, hier abseits des Schlachtfeldes in dem Achtmannzelt meines Teams, das nun nur noch aus Vieren besteht, kann man das Unheil des Krieges spüren. Schreie, laute Explosionen und das vernichtende Feuern von automatischen Gewehren. Schlafen fällt einem schwer unter diesen unzumutbaren Umständen, weswegen ich mich umso mehr Frage, wie der Rest meines Teams dazu in der Lage ist, wie Kleinkinder nach einem langen Tag auf dem Abenteuerspielplatz, friedliche Geräusche des Schlafens von sich geben zu können. Ich hingegen finde nun schon seit mehreren Tag-Nacht-Zyklen keinen Schlaf mehr, kann jedoch nicht behaupten meine Kameraden zu beneiden, denn auch sie haben den Tod vieler ihrer Freunde zu betrauern. Abgesehen meiner psychischen Gebrechen, macht mir das nahezu tropische Klima mit der Hitze und dem Regen, der seinen Weg schließlich in unseren Unterschlupf gefunden hat, zu schaffen. Mittlerweile fällt es schwer, die Geräusche des sinnlosen Mordens und die des nahenden Sturms auseinanderzuhalten, während sich die leeren Betten der Gefallenen langsam mit Wasser füllen. Bevor das reißende Gewässer meine mutmaßlich vor Kälte abgefrorenen und zugleich schwitzenden Füße erreicht, fällt mir die Entscheidung nicht schwer, vorübergehend frische Luft schnappen zu gehen. Ungefähr ein paar Dutzend Meter von unserem Schlafplatz entfernt, war mir zuvor auf dem Weg hier her bereits ein kleiner Hügel aufgefallen, welcher nun nahezu trocken geblieben zu sein schien. Geschützt durch die herabhängenden Äste einer Trauerweide und den einzig trockenen Platz fühlt man sich eigenartig, als wäre man nicht Teil des Geschehens, nur ein stiller Zuschauer. Erst jetzt, alleine mit mir und meinen Gedanken, erinnere ich mich an mein sorgloses früheres Leben. Meine Frau und an ihre Art, wie wir einander stundenlang zu liebkosen pflegten, ohne auch nur mit dem Gedanken zu spielen, dass wir beide schon bald aus dieser für uns wie geschaffenen Existenz gerissen werden würden. Alles kommt einem so sinnlos vor. Das Morden wird weiter gehen, egal wie viele Menschen noch ihr Leben lassen müssen. Es gibt kein Rückflugticket, weder für mich noch für sonst jemanden, der es vermutlich mehr verdient hätte als ich. Die Trauerweide entfaltet ihr volles Potential und macht ihrem Namen alle Ehre, jedoch scheinen ihre Äste aufgrund der schier endlosen Wassermassen allmählich den einzigen davor geschützten Platz preiszugeben. Obwohl mein gesamter Körper binnen Sekunden komplett durchnässt ist und eine Lungenentzündung nicht mehr lange auf sich warten lässt, wenn mich nicht zuvor ein weitaus effizienterer Tod ereilen würde, ist mir der Moment wichtiger. Erst wenn die guttuenden Bilder meiner mir Angetrauten schon fast aus meinem Kopf entschwunden wären, würde ich in das Zelt und somit in die mehr als bittere Wahrheit zurückkehren. Auch wenn ich mir diesen Augenblick viel ferner als unerreichbar gewünscht hätte, kommt er doch immer noch früher als die Mindesterwartung es zugelassen hätte. Schritt für Schritt vergrößert sich es innerhalb meines Blickfeldes, jedoch kann ich mich nicht damit identifizieren. Mit dem Monster, zu dem ich gezwungener Maßen geworden bin und schon morgen in ihre vermutlich letzte Schlacht ziehen würde, mit dem Ziel, möglichst viele Opponenten mit hinunter in die Hölle zu ziehen. Noch fünfzehn Schritte und ich wäre nicht mehr alleine mit meinen schmerzenden Gedanken, doch eine höhere Macht hatte vermutlich ein anderes Schicksal für mich vorherbestimmt. Eine der feindlichen Stellungen muss in der Zwischenzeit weiter vorgerückt sein als erwartet, denn eine der Mörsergranaten zerstört unverhofft erneut den weiteren ordinären Verlauf meines Lebens, wie einst der General mit seinem Befehlsschreiben. Nur sind damals nicht die einzigen vier Menschen, die mir noch blieben, dem Tod zum Opfer gefallen. Die unmittelbare Wucht des Ablebens meines übrig gebliebenen Teams übermannt mich und ich falle zu Boden. Eine zarte zerbrechlich wirkende Hand streichelt meinen Arm und langsam überwinde ich mich einen vorsichtigen Blick zu riskieren. Die trostlose Nacht des Verderbens liegt weit hinter mir, in greifbarer Nähe jedoch meine geliebte, mich besorgt anblickend. Schweißgebadet und von Tränen der Trauer, doch vor allem der Freude durchnässt, fällt mir ein Stein vom Herzen. Nach dem Moment der Realisation beruhige ich meine Frau mit den ihr seit einigen Nächten wohlbekannten Versen der Krankhaftigkeit: ,,Sobald ich mich an den Alltag gewöhnt habe, kann ich wieder ruhig schlafen und höre damit auf, dir den deinen zu rauben.“ Und wie jedes Mal antwortet sie leise, fast schon flüsternd: ,,Seit du wieder da bist, schlafe ich besser, als jemals zuvor.“
von Reik Rogge