"Convoi 77" - eine etwas andere Annäherung an den Holocaust
Eine etwas andere Annäherung an den Holocaust
Eine kleine Bülow-Gruppe aus dem 11. Jahrgang besuchte am 11. Februar die französische Botschaft, um einen besonderen Teil der Geschichte des Holocaust und seine Dokumentation kennenzulernen. Wir erlebten einen ausgesprochen kurzweiligen Abend.
Anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hatte die Botschaft mit dem Institut Français und der CIVS* zur Vorstellung eines internationalen Geschichtsprojekts eingeladen. Das Projekt ist dem Leben der mehr als 1.300 Deportierten gewidmet, die nach der Landung der Alliierten in der Normandie 1944 mit dem letzten Transport – dem Convoi 77 – am 31. Juli 1944 aus dem Lager Drancy bei Paris in die Gaskammern von Auschwitz geschickt wurden. Der Lagerkommandant von Drancy, Alois Brunner, hatte zuvor vor allem gezielt nach Kindern suchen lassen. Über dreihundert Kinder waren unter den Deportierten.
Seit 2015 recherchieren Schülerinnen und Schüler vorwiegend aus Frankreich und Deutschland die individuellen Biografien. Die Biografien werden auf einer eigenen Webseite dokumentiert.
“The Shoa must not only represent millions of victims, but a victim, plus a victim, so that each of them can be restored to their civil status, their itinerary, their dignity; that they are removed from oblivion and anonymity, so that from objects of history, these names become subjects of history again.” (Serge Klarsfeld, französischer Nazi-Jäger)
„Die Shoa darf nicht nur für Millionen von Opfern stehen, sondern für ein Opfer und noch ein Opfer, damit jedes von ihnen seinen bürgerlichen Status, seinen Lebensweg, seine Würde wiedererhält; damit sie dem Vergessen und der Anonymität entrissen werden, damit ihre Namen von Objekten der Geschichte wieder zu Subjekten der Geschichte werden.“
Auch Schülerinnen und Schüler unserer Schule haben bereits 2017 dazu beigetragen, dass Opfer des Holocaust der Anonymität entrissen werden.
Nach einer interessanten Einführung in die nicht so bekannte Geschichte des Convoi 77 war der Abend in der Französischen Botschaft ganz den Deportierten Flora Cahen, Mirthil Cahen und Riven Kirschbaum gewidmet. Ihre Schicksale stellte eine Schülergruppe des Französisch-Deutschen Gymnasiums aus Buc bei Paris vor. Sie beschrieben ihre Arbeitsmethoden, erzählten von unerwarteten Entdeckungen bei ihren aus zahlreichen Quellen gespeisten Recherchen, stellten aber auch die noch zu klärenden Fragen dar.
Das Leben des Riven Kirschbaum, der bis Ende der 1920er Jahre in Berlin lebte, wirkte dabei fast wie ein Abenteuerroman. So formulierte es eine Französin. Es gelang Riven Kirschbaum, vom Konvoi zu fliehen, doch wurde er wieder aufgegriffen und war in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert, zuletzt in Dachau bei München, bis die Amerikaner das KZ 1945 befreiten. Riven Kirschbaum überlebte im Gegensatz zu Flora und Mirthil Cahen.
Die Arbeit der französischen Schülergruppe hat uns so beeindruckt, dass in unserer Runde der Wunsch aufkam, auch dazu beizutragen, dass die Opfer ein Gesicht bekommen und nicht vergessen werden.
Der Abend endete mit einer Einladung des Botschafters zu Petit Fours und anderen Leckereien, die wir bei der Begegnung mit den französischen Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrerinnen genießen durften. Nach zweieinhalb kurzweiligen Stunden ging es beschwingt und tatendurstig durch die Nacht nach Hause.
Dr. Brigitte Kassel
*Kommission für die Restitution von Kulturgütern und die Entschädigung der Opfer antisemitischer Enteignungen