Über die Oder zu den Nachbarn
Kultur – Geschichte – Sport bei den Nachbarn
9b auf Klassenfahrt nach Breslau bzw. Wrocław
11. Juli 2016 – Um acht Uhr morgens trafen wir uns alle mit unserem Gepäck vor der Schule, der Bus war ebenfalls schon da. Wir warteten alle aufgeregt und voller Freude auf die Abfahrt nach Polen, wo wir fünf Tage lang besonders die Stadt Wrocław, 2016 Europäische Kulturhauptstadt, erkunden würden. Um etwa halb neun ging es endlich los Richtung Osten.
Kurz hinter der polnischen Grenze, die wir trotz NATO-Gipfel und Papstbesuch in Polen ohne Passkontrolle passieren konnten, machten wir Halt an einer Tankstelle, wo wir u.a. unsere ersten Euros in Złoty tauschen konnten. Es war ziemlich warm, 30°C.
Nach insgesamt fünfeinhalb Stunden Busfahrt erreichten wir schließlich unser Hostel Royal in Breslau in der ul. Kazimierza Wielkiego am Rande der Altstadt. Wir luden unser Gepäck aus und verteilten uns auf die Zimmer, die ziemlich groß und bequem eingerichtet waren. Jedes Zimmer verfügte sogar über ein eigenes Bad.
Danach gingen wir mit unseren Lehrerinnen zum Marktplatz, dem Zentrum der Altstadt. Der erste Eindruck: Beeindruckende alte Fassaden, die, wie wir später erfahren sollten, gar nicht alle so alt sind, sondern nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut worden sind. Wir hatten nun das erste Mal die Gelegenheit, uns mit unserer Umgebung selbständig vertraut zu machen und durch die Altstadt von Breslau zu bummeln.
Abends aßen wir dann alle gemeinsam im Restaurant Impressa; es gab Dillkartoffeln mit Roter Bete und Hähnchen. Hier muss allerdings gesagt werden, dass das Essen mittelprächtig schmeckte.
Trotzdem – es war ein schöner Start in die Woche.
12. Juli 2016 – Frühstück gab es um 8 Uhr wieder im Restaurant Impressa um die Ecke. Uns erwartete ein umfangreiches Frühstücksbuffet mit Toast, Cornflakes, Wurst und Käse, verschiedenen Salaten und Würstchen im Speckmantel.
Heute stand eine Führung durch die Breslauer Altstadt auf dem Programm. Unser freundlicher und sehr kundiger Stadtführer zeigte uns zahlreiche schöne Orte und erzählte zu jedem Gebäude eine Geschichte. Vor dem Alten Rathaus erklärte er uns die Figuren an der Fassade. Auf dem benachbarten Kirchplatz zeigte er uns ein Bronzedenkmal für den in Breslau geborenen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der zum kirchlichen Widerstand gegen die Nationalsozialisten gehörte.
Der Regen führte uns bald in die Elisabethkirche in unmittelbarer Nähe. Wir erfuhren, dass die Kirche als erste in Schlesien nach der Reformation evangelisch wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie aber wieder eine katholische Kirche. Unser Stadtführer erklärte uns auch, dass es sich um eine Garnisonskirche handelt, also eine Kirche für das Militär. Im Innern der Kirche befinden sich zahlreiche Gedenktafeln für die Opfer von Nazi- und kommunistischem Terror.
Wir lernten auch die Universität Breslau mit ihrer berühmten Aula Leopoldina kennen. Diese wird zwar zur Zeit Stück für Stück restauriert, dennoch beeindruckt sie durch ihren Reichtum an Schmuck. Man könnte übrigens denken, man befinde sich in einer Kirche.
Das Universitätsgebäude hat außerdem einen Aussichtsturm. Das Wetter war inzwischen wieder sonnig, so dass wir die Aussicht von oben trocken genießen konnten. Unser Stadtführer erzählte uns einiges über die Umgebung, z.B. auch den supermodernen Skytower, ein Hochhauskomplex, der über 200m hoch ist, Büros, Apartments und eine Einkaufspassage beherbergt und auf der 49. Etage eine Aussichtsplattform hat.
Die Universität war die letzte Station auf unserem Rundgang. Nun hatten wir Freizeit, die ein Großteil unserer Klasse mit dem Mittagessen bei MacDonald’s einläutete.
Nachmittags trafen wir uns wieder, um gemeinsam auf der Oder in Zweierkajaks zu paddeln. Wir bekamen nicht nur Schwimmwesten, uns begleiteten sogar zwei Rettungsteams in Motorbooten. Das ist in Polen für Jugendgruppen einfach Vorschrift, obwohl unsere Tour nicht gerade gefährlich war. Wir begegneten netten Anglern, winkenden Passagieren auf Ausflugsschiffen und der Wasserschutzpolizei, die sich ein bisschen über unsere Paddelkünste lustig machte.
Nachdem wir durchnässt und mit schmerzenden Händen zurückgekommen waren, hatten wir erneut Freizeit bis zum Abendessen im Impressa.
Den Tag beendeten wir später mit einer gemeinsamen Runde im Hostel, bei der wir uns über unsere Eindrücke austauschten.
13. Juli 2016 – Heute gab es zum Frühstück noch ein Lunchpaket, denn uns stand ein langer Tag im Riesengebirge bevor.
Mit dem Bus fuhren wir etwa 2 Stunden zur Schneekoppe, dem höchsten Berg im Riesengebirge. Über seinen Gipfel verläuft die polnisch-tschechische Grenze. Im Bus erzählte uns die polnische Begleitlehrerin eine alte Sage über den Berggeist Rübezahl. Unser Bergführer berichtete später, dass der Berggeist den Menschen in verschiedener Gestalt erscheine und den Wanderer auch einmal in die Irre leiten könne.
Unser erstes Ziel war der kleine Ort Karpacz, von wo aus wir mit dem Sessellift auf ca. 1.350 m Höhe hinauffuhren. Nach zwanzig Gehminuten erreichten wir eine sogenannte Baude, das Schlesierhaus. Für die Pause war es aber definitiv zu früh; also ging es über einen steilen Zickzackweg hinauf auf den 1.600 m hohen Gipfel der Schneekoppe. Der Weg brachte uns ins Schwitzen, aber oben wurden wir mit einer recht guten Sicht ins Tal belohnt, denn die dunklen Wolken hatten sich inzwischen verzogen.
Für den Abstieg nahmen wir einen breiten und bequemen Weg. Nach einer Pause auf der Wiese bzw. in der Schlesierbaude ging es zu Fuß weitere 1.000 m bergab, bis wir wieder in Karpacz waren. Diese Tour war doch einigermaßen anstrengend, so dass sich die Gruppe erst am Zielpunkt wieder vollständig versammelte.
Karpacz ist auch berühmt wegen seiner norwegischen Stabkirche Wang, die wir zum Schluss noch besuchten. Dabei handelt es sich um eine kleine Holzkirche, die ohne einen einzigen Nagel zusammenhält. Sie stammt aus dem norwegischen Ort Vang. Als sie im 19. Jahrhundert abgerissen werden sollte, weil sie für die Gemeinde zu klein geworden war, kaufte Friedrich IV. die Kirche, die er eigentlich auf der Pfaueninsel wiederaufbauen wollte. Auf Umwegen gelangte sie aber schließlich nach Karpacz.
Ziemlich erschöpft von einem ereignisreichen Tag mit viel Bewegung kamen wir etwas verspätet wieder zu unserem Breslauer Abendessen.
14. Juli 2016 – Der vierte Tag unserer Klassenfahrt war – verregnet! Aber der zweite Teil unserer Stadtführung stand auf dem Programm – bitte, kein Gejammer! Nun sollten wir den Ursprung Breslaus, die Sand- und Dominsel kennenlernen.
Um neun Uhr trafen wir uns auf der Dominsel mit unserem Stadtführer. Wir begannen mit der kleinen St. Martinskirche, dem einzigen Gebäude, das noch vom alten Schloss übrig geblieben ist. Dann näherten wir uns langsam der großen Kathedrale, die Johannes dem Täufer gewidmet ist. Hier wurden wir langsam wieder etwas trockener, während unser Stadtführer seine Begeisterung für die Kirche und die Geschichte Breslaus mit uns teilte. Im Hintergrund spielte leise Orgelmusik.
Zum Glück brachte uns unser Busfahrer im warmen Bus zum nächsten Ziel, der Jahrhunderthalle des Architekten Max Berg. Die Halle, die 1913 als erste Halle aus Stahlbeton mit freitragender Kuppel – 65 m im Durchmesser – erbaut worden war, beeindruckte uns alle. Als wir sie besuchten, war außer uns nur noch eine weitere Besuchergruppe in der Halle – wie muss die Atmosphäre sein, wenn sich 10.000 Menschen zu einem Konzert oder anderen Veranstaltungen in der gigantischen Halle versammeln? In einem Ausstellungsraum sahen wir außerdem einen historischen Film über den Bau der Jahrhunderthalle vor mehr als 100 Jahren.
Leider regnete es nach der Besichtigung immer noch, sodass wir erst einmal zurück in das Hostel fuhren, um uns trockene Sachen anzuziehen.
Als letzte kulturelle Aktivität besuchten wir im Stadtschloss, das direkt neben unserer Unterkunft lag, die Ausstellung 1000 Jahre Breslau. Dieser Besuch gab uns einen guten Einblick in das Adelsleben der Frühen Neuzeit. Wir lernten aber auch, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg in Breslau zu einem fast vollständigen Bevölkerungsaustausch kam: Die deutsche Bevölkerung musste Breslau Richtung Westen verlassen; an ihrer Stelle ließen sich Neu-Breslauer z.B. aus der heutigen Ukraine nieder, die das Schicksal der Umsiedlung mit den Deutschen teilten. Im Schloss kann man sich aber auch vorstellen, wie Friedrich II. dort gelebt hat, denn das Schloss war ab 1750 die Residenz der Hohenzollern. Einige Räume sind als königliche Gemächer hergerichtet.
Bis zum Abendessen hatten wir nun Freizeit, in der sich jeder auf unterschiedliche Weise beschäftigen durfte. Manche gingen noch in die Stadt shoppen und andere entspannten sich in ihren Zimmern.
Nach dem Abendbrot trafen wir uns ein letztes Mal, um unsere Meinung und unser Feedback zu diesem Tag zu äußern. Da dies der letzte Abend unserer Klassenfahrt war, wurde die Nacht lang.
Des Rätsels Lösung
Während dieser Tage in Breslau sind wir immer wieder auf kleine, ca. 30 cm hohe Bronzefiguren gestoßen, die für Breslau eine Touristenattraktion geworden sind – die Zwerge, oder auf polnisch: krasnale. Doch was hat es mit ihnen auf sich? Auch darüber konnte unser Stadtführer berichten.
Die Breslauer Zwerge sind als Zeichen der Opposition gegen das kommunistische Regime entstanden. Sie waren ursprünglich ein Symbol der Oppositionsbewegung Pomarańczowej Alternatywy, der Orangen Alternative, in den 1980er Jahren. Mitglieder dieser Bewegung verkleideten sich z.B. bei Protestveranstaltungen als Zwerge. Antikommunistische Parolen auf Hauswänden, die staatlicherseits übermalt wurden, wurden wiederum von Oppositionellen mit Zwergen bemalt. Auch der erste Zwerg wurde bereits in den 1980er Jahren in der Breslauer Altstadt aufgestellt. Heute gibt es ca. 400 der kleinen und witzigen Zeitgenossen.
15. Juli 2016 – Wir machten zum Abschluss noch einen kleinen Umweg nach Berlin. Einmal in Niederschlesien wollten wir uns die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auch noch das Gut Kreisau zu besuchen, das seit dem 19. Jahrhundert der Familie von Moltke gehörte und heute eine internationale Jugendbegegnungsstätte beherbergt.
Wir besichtigten das Schloss, in dem nur der Ballsaal wieder original hergerichtet worden ist. Wir gingen auch zum sogenannten Berghaus, in dem die Familie von Moltke lebte und wo sich während des Nationalsozialismus die Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis mehrfach traf. Allerdings berichtete unsere sachkundige Begleitung, dass die Gruppe den Namen Kreisauer Kreis erst durch die Nazis erhielt. Wir lernten auch die kennzeichnenden Symbole, den Kreis und das Kreuz, kennen.
Und zum Schluss hatten wir noch ausreichend Zeit, die Freiluftausstellung „Mut und Versöhnung“ anzuschauen, die den Weg der deutsch-polnischen Aussöhnung beschreibt. Die Ausstellung entstand anlässlich des 25. Jahrestags der Versöhnungsmesse im November 1989, die auf dem Gut Kreisau stattfand.
Heute heißt Kreisau übrigens Krzyżowa; Krzyżowa bedeutet Kreuz – und so verbinden sich im Ortsnamen Kreisau/ Krzyżowa die Symbole des Kreisauer Widerstands, das Kreuz und der Kreis.
„Mut und Versöhnung” in Kreisau
Autorengemeinschaft 9b