Gedenk-Werkstatt "27. Januar"

Wie kann man das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gestalten und das Andenken an die Opfer bewahren, wenn die Zeitzeugen nicht mehr von ihren Erlebnissen und Erfahrungen berichten können?

Diese Frage stand im Hintergrund der diesjährigen Gedenk-Werkstatt, die mit Unterstützung des Grips-Theaters an mehreren Schule veranstaltet wurde. Ein Geschichtskurs des 4. Semesters unserer Schule hat an diesem Projekt teilgenommen.

Am 27. Januar, der seit 1996 in der Bundesrepublik als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen wird und an den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau 1945 erinnert, verbrachten die Kursteilnehmer eine nachdenkliche Stunde mit verschiedenen Aspekten von Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung. Bilder, Biographien, literarische und Sachtexte gaben ihnen Aufschluss über das Alltagsleben, über Hoffnung und Verzweiflung auf der Flucht.

Mit dieser Vorbereitung besuchte der Kurs am 23. Februar die 349. Vorstellung des Theaterstücks „Ab heute heißt du Sara“ im Grips-Theater. Das Theaterstück beruht auf der Autobiographie von Inge Deutschkron, „Ich trug den gelben Stern“. Es zeichnet in 33 Bildern die Stationen der Verfolgung und des Lebens der Familie Deutschkron im Untergrund während des Nationalsozialismus nach.

Im Anschluss an die Aufführung stellten Charlotte D., Marinella M. und Julian G. als VertreterInnen des Geschichtskurses Gedanken aus der Gedenk-Werkstatt vor. In ihrem Beitrag stellten sie Bezüge zur heutigen Situation von Flüchtlingen her, indem sie zunächst die Odyssee der MS St. Louis im Jahr 1939 schilderten.
Das Schiff verließ im Mai 1939 mit fast tausend jüdischen Flüchtlingen den Hamburger Hafen mit Ziel Havanna. Doch weder Kuba noch die nahe gelegenen Vereinigten Staaten waren bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen, so dass das Schiff wieder Kurs auf Europa nehmen musste. Die Flüchtlinge fanden dank der Bemühungen des jüdischen Hilfsvereins Joint schließlich Aufnahme in Großbritannien, Holland, Belgien und Frankreich. Für 254 Flüchtlinge bedeutete die Rückkehr nach Kontinentaleuropa allerdings am Ende die Ermordung in den Konzentrationslagern der Nazis.

Wen erinnern die Bilder nicht an aktuelle Flüchtlingsströme, so fragten die Schüler. Und wie ging das Leben für die Flüchtlinge weiter, die sich ins Exil retten konnten? Was bedeutet es für den Einzelnen, seine Heimat unter Zwang verlassen zu müssen und damit seine Kultur und Sprache? Verfolgung und Vertreibung sind ein Angriff auf die Identität, selbst wenn der Mensch sein Leben retten kann.

Marinella stellte heraus, dass es nicht darum gehe, den Holocaust mit den Erfahrungen heutiger Flüchtlinge gleichzusetzen und ihn damit zu relativieren. Aber die historische Erfahrung sollte uns heute dennoch sensibler für die Situation derjenigen machen, die sich aufgrund von Krieg und Verfolgung gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Charlotte, Marinella und Julian erhielten für ihre Worte viel Applaus.

An diesem Gedenk-Abend war auch Inge Deutschkron zu Gast im Grips-Theater. Die 93jährige Journalistin und Autorin, die sich selbst als Berliner Göre beschrieb, zeigte sich im Gespräch mit dem Publikum als sehr humorvolle Gesprächspartnerin. Ihre Gegenwart beeindruckte und gab der Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung ein lebendiges Gesicht.

(BK)