Parlamentarische Demokratie

Der Bundestag bietet regelmäßig die Chance, an Planspielen teilzunehmen, in denen die Regeln der parlamentarischen Demokratie spielerisch erfahren werden können. Während eines Planspiels wird der Weg der Gesetzgebung simuliert und komplexe Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse werden erlebbar, die gar nicht so weit von der Realität entfernt sind.

Die Schülerinnen und Schüler agieren als Abgeordnete mit konkreten Lebensläufen und politischen Positionen. Sie lernen die Geschäftsordnung des Bundestages kennen und können somit konkrete politische Verfahren nachvollziehen. Allerdings orientiert sich das Planspiel nicht an den realen politischen Parteien, sondern diese werden durch fiktive Parteien ersetzt.

Die Teilnehmer lernen die Organe und Abläufe des Parlaments kennen und erleben es als einen Ort politischer Aushandlungsprozesse, die letztlich durch Mehrheitsvotum entschieden werden.

In der Debatte üben die Teilnehmer, die eigenen Interessen zu vertreten und die Perspektiven und Positionen anderer nachzuvollziehen.

 

Im Folgenden die Dokumentation der Teilnahme am Planspiel im Januar 2024 und im Januar 2014.

Einen Tag im Januar 2024 als Abgeordnete

Wie kommt ein Gesetz zustande? Wie mühsam ist das Ringen um die Einzelheiten? Und hat sich die Arbeit am Ende gelohnt?

Am 24. Januar 2024 machten 39 Schülerinnen und Schüler aus den 10. Klassen Politik. Sie simulierten das Gesetzgebungsverfahren im Parlament. Ihre Aufgabe war, über einen Gesetzesentwurf der „Bundesregierung“ zur Einführung eines sozialen Pflichtjahres zu entscheiden. Es sollte ein langer Tag werden – und war doch ein Gesetzgebungsverfahren im Zeitraffer.

Um 7.40 Uhr Treffpunkt beim Bundestag. Sicherheitskontrolle. Und schon saßen wir in einem Sitzungssaal, in dem normalerweise die Ausschüsse des Parlaments beraten. Für uns war es der Plenarsaal. Unsere Gruppe teilte sich in Abgeordnete von drei Parteien: Bewahrungspartei (BP), Partei für Engagement und Verantwortung (PEV) und Gerechtigkeitspartei (GP).

Erste Schritte

Und schon zogen sich die Fraktionen in ihre Sitzungssäle zurück. Dort galt es, einen Fraktionsvorsitz zu wählen und zu entscheiden, wer die Fraktion in den drei Ausschüssen Inneres, Jugend, Arbeit und Soziales vertreten sollte. Es handelt sich um die Ausschüsse, die sich mit der Frage eines sozialen Pflichtjahres zu befassen hatten. Dann mussten sich die Fraktionsmitglieder auf eine gemeinsame Zielrichtung ihrer Arbeit in den beteiligten Ausschüssen einigen. Allein das Wahlprozedere nahm aber schon einige Zeit in Anspruch, so dass die inhaltliche Vorbereitung etwas kurz kam.
Das war die erste Erfahrung: Zeitmanagement ist eine zentrale Herausforderung.

Es folgte die konstituierende Sitzung des Parlaments. Neue Rollen kamen hinzu. Aus einer Zehntklässlerin wurde zur allgemeinen Belustigung eine über 70jährige Abgeordnete, die zur Alterspräsidentin des Parlaments avancierte und die Sitzung eröffnen durfte. Die größte Fraktion stellte die Parlamentspräsidentin. Nach erfolgreicher Wahl leitete die Präsidentin zur Sacharbeit über. Die Ausschüsse wurden eingesetzt und der Gesetzentwurf zur Beratung an die Ausschüsse überwiesen.
Das war die zweite Erfahrung: Der Parlamentsalltag besteht aus vielen ritualisierten Verfahren.

Arbeit in den Ausschüssen

Im nächsten Schritt wurde es ernst. In den Ausschüssen erfolgte die inhaltliche Bearbeitung des Gesetzentwurfs, der schlicht formuliert war: „Alle Menschen mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland sind verpflichtet, bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ein soziales Jahr zu absolvieren.“

Doch der Entwurf war nicht zu unterschätzen: Der Artikel sollte als Artikel 12b in das Grundgesetz eingefügt werden. Eine Grundgesetzänderung erfordert eine 2/3-Mehrheit im Parlament. Um die zu erreichen, werden überzeugende Argumente gebraucht – pro oder contra -, denn eine 2/3-Mehrheit bedeutet, dass Parteigrenzen überwunden werden müssen. In der Ausschussarbeit waren die Trennlinien zwischen den Fraktionen allerdings unübersehbar.

Nach einer Stunde mussten nicht nur die einzelnen Ausschüsse ihre Stellungnahme abgeschlossen haben, sondern der Federführende Ausschuss musste außerdem zusammenfassend eine Beschlussempfehlung für das Parlament formuliert haben.
Das war die dritte Erfahrung: Zeitdruck erfordert disziplinierte Diskussion, in der man sich nicht an einem Punkt festbeißen darf.

Die Ausschüsse berichten nun ihren Fraktionen, in denen eine gemeinsame Position zur Beschlussempfehlung gefunden werden muss. Die Fraktionen bestimmen ihre Redner und Rednerinnen für die Plenardebatte.
In zwanzig Minuten berieten nun unsere Abgeordneten im Plenum über die Beschlussempfehlung und stimmten schließlich ab. In der Schlussabstimmung fand der Gesetzentwurf nicht die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten – der Gesetzentwurf war gescheitert.
Das war die vierte Erfahrung: Abstimmungen im Parlament sind des einen Freud, des anderen Leid. Intensive Arbeit und zähes Ringen um Positionen führt nicht zwangsläufig zu einem befriedigenden Ergebnis. Das erfordert Frustrationstoleranz.

Bilanz

Für uns war es Spiel und Spaß. Wir erfuhren, dass ein Gesetzgebungsverfahren in der Realität mehrere Monate dauert. Viele Gesetzesvorschläge scheitern. Frustriert waren nur die Parlamentsreporter – auch Lehrer genannt -, die nach der Parlamentssitzung keine sensationelle Neuigkeit zu berichten hatten. Sollte ein soziales Pflichtjahr kommen, wird bis dahin sicher noch Zeit ins Land gehen.

Nach einer Führung durch den Reichstag und fünf Stunden harter Arbeit durften wir in der Bundestagskantine mit Blick auf die Spree speisen wie echte Parlamentarier und machten uns schließlich gestärkt im Verkehrsgetümmel auf den Heimweg. (BK)

Besuch im Bundestag 2014

Parlamentarische Arbeit – die (scheinbare) Wiederkehr des Immergleichen verlangt Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz

Am 10. Februar machten sich Oberstufenschüler/innen aus LK und GK Politikwissenschaft sowie die Debattierer unserer Schule auf den Weg zum Reichstag.

Der Tag begann mit einer Führung – Startpunkt: Paul-Löbe-Haus.

Das PLH beherbergt hunderte von Abgeordnetenbüros, zig Sitzungssäle für Bundestagsausschüsse, aber auch ein Restaurant für Abgeordnete, Mitarbeiter und Besucher.

Über einen unterirdischen Gang ist das PLH mit dem Reichstagsgebäude verbunden. Zum Höhepunkt der Führung gehörte der Plenarsaal. Die Gruppe lernte von der Ehrentribüne aus, die sonst dem Bundespräsidenten vorbehalten ist, Einiges über Geschichte und die Organisation von Politik im Bundestag.

Zum Beispiel dürfen wichtige Abgeordnete in der Businessklasse des Plenarsaals Platz nehmen – ausgestattet mit Telefon und Mikrofon -, während Neulinge sich mit der „Holzklasse“ zufrieden geben (die aber auch blau gepolstert ist).

Der Bundesadler erhielt erst mit dem Umzug des Bundestages nach Berlin eine Rückseite, die der britische Architekt Norman Foster, der die gläserne Reichstagskuppel geplant hat, gestaltete. Schaut man genau hin, sieht man Fosters Signatur auf der Rückseite zwischen Kopf und Flügel.

Von der Fraktionsebene des Reichstags eröffnet sich ein neuer Blick in den Plenarsaal.

Der Weg in den Fraktionssaal der CDU/CSU, der sich als überraschend nüchtern-karg ausgestattet erwies, führt an einer Galerie bisheriger Fraktionsvorsitzender vorbei.

Geschichte rückt im Reichstag näher, z.B. beim Betrachten der Inschriften, die sowjetische Soldaten aus Kiew 1945 hinterlassen haben; dagegen scheint sie unglaublich weit weggerückt, wenn man dem Verlauf der Mauer, die bis 1990 dicht am Reichstag vorbeiführte, nachspürt.

 

Parlamentarisches Planspiel

Nach der etwa einstündigen Führung folgte die Einführung in das parlamentarische Planspiel. Alle Teilnehmer erhielten eine Abgeordnetenbiographie und sammelten sich dann in den Fraktionen. In Anlehnung an die politische Wirklichkeit nahmen die Fraktionen der Christlichen Volkspartei (CVP), der Arbeitnehmerpartei Deutschlands (ADP), der Ökologisch-sozialen Partei (ÖSP) und der Partei der sozialen Gerechtigkeit (PSG) ihre Arbeit auf. Funktionen wie Vorsitz und Mitgliedschaft in Innen- und Rechtsauschuss wurden verteilt.

Das Spiel begann mit der Konstituierenden Sitzung des Bundestags, die zunächst von der Alterspräsidentin geleitet wurde, bis der einvernehmlich gewählte Bundestagspräsident die Leitung der Sitzung übernahm.

Nun galt es, einen von der ÖSP eingebrachten Gesetzesvorschlag zur Einführung eines Volksentscheids auf Bundesebene parlamentarisch zu verhandeln. Das Gesetzgebungsverfahren mit 1., 2. und 3. Lesung wurde unter Federführung des Innenausschusses im Zeitraffer durchlaufen. Was normalerweise mehrere Monate dauert, schafften unsere Parlamentarier in etwa drei Stunden.

In der Debatte gab es manch ungewöhnlichen Vorschlag:

  • Manche Abgeordnete wollten gleich alle Entscheidungen in die Hand der Bürger übergeben. Ein revolutionäres Element?
  • Andererseits: Haushaltspolitik wird explizit ausgenommen? Ist das ein Ausdruck der Skepsis gegenüber den Wählern, die für irgendwelche Zwecke populistisch geködert werden könnten?
  • Und soll tatsächlich jeder Volksentscheid vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden? Eine Menge Arbeit kommt auf die Juristen zu.

Doch am Ende herrschte Konsens und das Gesetz wurde nahezu einstimmig verabschiedet.

Der „Direktor“ verabschiedete den Bundestagspräsidenten, dem sein Amt offensichtlich Spaß gemacht hatte. Aber: „Das ist der Preis der Demokratie – man muss auch von Ämtern lassen können“.

Wie nahe war das Spiel nun insgesamt an der Realität?

Politik und Gesetzgebung ist ein mühsamer Prozess, gekennzeichnet durch vielfache Wiederholung im Laufe der Entscheidungsfindung.
Durchaus realistisch auch, dass die Teilnehmer sich am Ende für hohe Quoren entschieden, die es schwer machen, einen Volksentscheid zu realisieren. Dabei ließen sie sich maßgeblich von dem Gedanken leiten, dass rechtsextreme und populistische Strömungen das Instrument des Volksentscheids missbrauchen könnten.

Weniger realistisch scheint allerdings, dass ein Oppositionsvorschlag schließlich gegen die politikgestaltende Mehrheit der Koalition angenommen wurde. Auch das Ziel einer im konkreten Fall notwendigen Grundgesetzänderung dürfte in der Realität nur unter weit größeren Mühen zu erreichen sein.

Gemessen an dem Einfluss, den ÖSG als die Partei, die den Gesetzentwurf vorgelegt hatte, und PSG im Gesetzgebungsprozess entwickelten, traf die sprichwörtliche Feststellung des ehemaligen SPD-Chefs Franz Müntefering, „Opposition ist Mist“, im Spiel kaum zu.

Ob nun allerdings die Opposition aus ÖSG und PSG am Ende wirklich erfolgreich ihr Gesetz durchbringen würde, erfuhren wir nicht mehr. Denn mit der 3. Lesung endete das Spiel – während in der Realität nun der Bundesrat am Zuge wäre.

(BK)